Entscheidend – Was war zuerst? Krankmeldung oder Kündigung?

LAG Niedersachsen, Urteil vom 08.03.2023, Az. 8 Sa 859/22

Das Landesarbeitsgericht Niedersachen hatte über die Erschütterung eines Beweiswertes einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU-Bescheinigung) zu befinden. Der Beweiswert kann erschüttert sein, wenn sich der Arbeitgeber unmittelbar nach Erhalt der arbeitgeberseitigen Kündigung für den gesamten Zeitraum bis zur Kündigungsfrist krankmeldet.

Der Kläger begehrte von der ehemaligen Arbeitgeberin die Entgeltfortzahlung für ein arbeitgeberseits beendetes Arbeitsverhältnis. Von März 2021 bis Mai 2022 war der Kläger Arbeitnehmer der Beklagten. Er meldete sich am 02.05.2022 krank und legte nachfolgend AU-Bescheinigungen seines behandelnden Arztes für den Zeitraum ab dem 02.05.2022 bis zum 31.05.2022 mit unterschiedlichen Diagnosen vor. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 02.05.2022, dem Kläger zugegangen am 03.05.2022, ordentlich zum 31.05.2022 und verweigerte wegen der Koinzidenz der Krankschreibung und der Kündigung die Lohnfortzahlung. Diese machte der Kläger anschließend gerichtlich geltend.

Bereits vor dem Arbeitsgericht wurde zugunsten des Klägers entschieden. Das Arbeitsgericht befand, dass der Beweiswert der AU-Bescheinigung nicht durch die beklagte Arbeitgeberin erschüttert worden sei.

Die hiergegen von der Beklagten eingelegte Berufung hatte keinen Erfolg. Die Richter des LAG betonten, dass der Beweiswert einer AU-Bescheinigung auch dadurch erschüttert werden könne, dass der Arbeitnehmer sich im Fall des Erhalts einer arbeitgeberseitigen Kündigung unmittelbar zeitlich nachfolgend – „postwendend" – krankmelde bzw. eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einreiche. Dies gelte insbesondere dann, wenn lückenlos der gesamte Zeitraum der Kündigungsfrist – auch durch mehrere AU-Bescheinigungen – abgedeckt werde. Jedoch liege der vorliegende Fall anders: Denn der Kläger habe sich zuerst krankgemeldet und habe dann erst die Kündigung erhalten.

Es fehle somit – nach Auffassung des Gerichts – an dem für die Erschütterung des Beweiswertes der AU-Bescheinigung notwendige Kausalzusammenhang. Allein die Tatsache, dass ein Arbeitnehmer bis zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig krankgeschrieben sei, am unmittelbar darauf-folgenden Tag gesunde und bei einem anderen Arbeitgeber zu arbeiten beginne, erschüttere in der Regel – ohne Hinzutreten weiterer Umstände – den Beweiswert von AU-Bescheinigungen nicht.

Das letzte Wort ist hier jedoch noch nicht gesprochen. Gegen die Entscheidung ist Revision zum BAG eingelegt worden.

Diesen Artikel und weitere Steuernews lesen Sie in dem Mandantenbrief August 2023.

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